Travelogues: Fremdwahrnehmungen in Reiseberichten 1500–1876 – Eine computergestützte Analyse
Über das Projekt
Das interdisziplinäre und internationale Projekt analysiert deutschsprachige Reiseberichte der Zeit 1500–1876 aus dem Bestand der Österreichischen Nationalbibliothek. Es werden Algorithmen zur semi-automatisierten Auffindung und Auswertung großer Mengen, digital verfügbarer Druckschriften entwickelt, um darin Wahrnehmungen von „Fremdheit“ und vom „Orient“ systematisch zu untersuchen. Am Projekt beteiligt sind das Institut für die Erforschung der Habsburgmonarchie und des Balkanraumes an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, das Austrian Institute of Technology, die Österreichische Nationalbibliothek und das Forschungszentrum L3S an der Universität Hannover.
Reiseberichte enthalten Informationen über die Wahrnehmungen von Fremdheit, wie verschiedenste Regionen, Kulturen und Religionen. Gleichzeitig sind Reiseberichte stark von den an ihrer Produktion beteiligten Personen und ihren Selbstdarstellungen geprägt; dieser Einfluss lässt wiederum Rückschlüsse darauf zu, wie in den jeweiligen Herkunftskulturen mit Fremdheit umgegangen wurde. Für die Analyse besonders herausfordernd sind die große Zahl an überlieferten Texten und die Heterogenität der Quellengattung: Die an ihrer Produktion beteiligten Personen variierten genauso wie die Schreibintentionen, Ziele, Motive und das intendierte Publikum. Da sich das Projekt über rund vier Jahrhunderte erstreckt, geht damit eine methodisch anspruchsvolle diachrone Kontextualisierung einher. Hinzu kommen unterschiedliche Auswertungsanforderungen durch grammatikalische und semantische Veränderungen, Digitalisierung und Texterkennung (OCR).
Diesen Herausforderungen begegnet das Projekt mit innovativen Methoden zur quantitativen und qualitativen Textanalyse: Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus den Geschichts-, Computer-, Buch- und Informationswissenschaften entwickeln Algorithmen zur semi-automatisierten Auffindung und Auswertung von Fremdwahrnehmungen in umfangreichen Textmengen. Sie knüpfen dabei am aktuellen Stand von „machine learning“-Verfahren zur Textklassifikation sowie an Techniken zum „text-mining“ und zum „adaptive topic modeling“ an und entwickeln einen neuartigen „neural-network-based expression- detection approach“. Auf diese Weise werden deutschsprachige Reiseberichte erstmals systematisch gesammelt und nicht nur qualitativ, sondern auch kombiniert mit quantifizierenden Verfahren analysiert. Zudem werden die hierbei entwickelten Werkzeuge so konzipiert, dass sie für Forschende anderer Disziplinen leicht adaptierbar sind und das Fundament für weitere Untersuchungen mit ähnlichen Fragestellungen aber anderen Quellengattungen bilden können.
Der historische Fokus liegt auf den Wahrnehmungen von „Fremdheit“ und vom „Orient“. Insbesondere wird analysiert, welche Formen von Fremdwahrnehmungen bestanden, ob und gegebenenfalls wie sich diese im Laufe des Untersuchungszeitraums wandelten und inwiefern sie von der geographischen oder sozio-kulturellen Herkunft der an ihrer Produktion beteiligten Personen abhängig waren. Die kritische Auseinandersetzung mit Fremdwahrnehmungen in der Vergangenheit generiert historisches Orientierungswissen für Gegenwart und Zukunft, da historische Dimensionen aktueller Problemlagen aufgezeigt werden: Die Erkenntnisse, die aus der Identifikation und Kontextualisierung von Strategien zum Umgang mit Fremden in der Vergangenheit gewonnen werden, können angewandt werden, um Herausforderungen von heute zu bewältigen, die mit Prozessen wie dem weltumspannenden Massentourismus, der Internationalisierung von Konsumkulturen, transnationalen Migrationsbewegungen und der Globalisierung in Zusammenhang stehen.
Projektziele:
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Semi-automatisierte Erstellung eines Textkorpus. Ausarbeitung charakteristischer Elemente von Reiseberichten und Möglichkeiten zu ihrer automatisierten Sammlung innerhalb des digitalisierten Bestands der Österreichischen Nationalbibliothek (ca. 600.000 Bücher).
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Sammlung von Metadaten. Entwicklung einer Graphendatenbank mit den aufgefundenen Reiseberichten, die weiterführende Informationen, wie Namen und Herkunftsorte der Reisenden oder intertextuelle Bezüge zwischen den Publikationen (Abschreibtraditionen, Referenzberichte etc.), aufzeigt.
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Analyse der in den Reiseberichten tradierten Vorstellungen von „Fremdheit“ und vom „Orient“. Basierend auf einer automatisierten Erkennung von Textpassagen werden der Bedeutungswandel dieser Begriffe und damit verbundene Assoziationen quantitativ und qualitativ untersucht.
Gefördert durch:
Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF): Projektnummer I 3795-G28.
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG): Projektnummer 398697847.
Laufzeit:
2018–2021